"Wer Schaden verursacht, haftet schon heute"

Interview, 18. November 2020: Blick; Sermîn Faki, Gianna Blum

Blick: "Justizministerin Karin Keller-Sutter (56) will, dass Konzerne mehr Verantwortung übernehmen. Doch die Initiative sei der falsche Weg."

Frau Keller-Sutter, Eltern haften für ihre Kinder, wenn sie ihre Aufsichtspflicht verletzt haben. Warum sollen Konzernmütter nicht haften, wenn ihre Töchter Schaden anrichten? Das genau will die Konzern-Initiative.
Eltern haften nicht, wenn die Kinder bereits volljährig sind. Nach der Initiative haften die Unternehmen neu auch für das Verhalten von rechtlich eigenständigen Unternehmen im Ausland. Wenn wir schon von Familien reden: Ich habe als Kind gelernt, dass ich für das geradestehen muss, was ich falsch mache, und nicht dafür, was der Kollege verbricht.

Auch bei der Initiative sollen Schweizer Unternehmen nicht für irgendwelche Dritte haften, sondern nur für Unternehmen, die sie kontrollieren.
Das stimmt. Es geht aber um rechtlich eigenständige Unternehmen, also um Dritte. Zusätzlich müssen grundsätzlich alle Unternehmen eine Sorgfaltsprüfung für sämtliche Geschäftsbeziehungen durchführen. Der Chef eines mittelgrossen Pharmaunternehmens sagte mir, er müsste bei einer Annahme 11 000 Lieferanten kontrollieren. Das ist nicht umsetzbar.

Nicht überall funktioniert die Justiz so wie in der Schweiz. Grosskonzerne sind oft mächtiger als ein Entwicklungsland. Sehen Sie da gar keinen Handlungsbedarf?
Heute ist es so, dass jedes Unternehmen nach dem Recht vor Ort haftet, an dem es einen Schaden anrichtet. Das ist ein international anerkannter Rechtsgrundsatz. Diesen will die Initiative aushebeln. Das wäre ein Eingriff in die Souveränität eines anderen Staates.

Menschenrechte und Umweltstandards sind ja keine Schweizer Erfindung, die gelten überall.
Es käme Schweizer Verfahrensrecht zur Anwendung. Und es wäre ein Schweizer Gericht, das im konkreten Fall Menschenrechts- und Umweltschutzstandards auslegen müsste. Und zwar für etwas, das im Ausland geschehen ist. Die Haftungsnorm, wie sie die Initiative vorsieht, wäre zudem weltweit einmalig.

Dennoch: Oft kommen Konzerne straffrei davon, weil sie, insbesondere in Entwicklungsländern, ihre Macht ausspielen.
Ich kann das nicht im Einzelfall beurteilen. Wir können anderen souveränen Staaten aber nicht das Recht auf Selbstbestimmung absprechen. Und wir müssen ein Stück weit damit leben, dass es auf der Welt unterschiedliche Lebensstandards, Entwicklungen in der Wirtschaft und Wertvorstellungen gibt. Missstände wie Kinderarbeit werden oft durch Armut verursacht. Zwei, drei Musterprozesse in der Schweiz würden daran nichts ändern. Die Initiative löst kein einziges Problem. Der Gegenvorschlag verzichtet auf die Haftung, aber auch er verpflichtet Unternehmen erstmals zu mehr Transparenz und zu Sorgfaltspflichten, etwa bei der Kinderarbeit.

Wie viele Unternehmen tatsächlich betroffen sein werden, ist einer der grossen Streitpunkte. Anfangs war von 80 000 die Rede. Die Zahl wird nicht mehr gebraucht – weil sie übertrieben war?
Nein. Sotomo hat diese Zahl berechnet. Es ist sehr schwierig, eine genaue Schätzung zu machen. Denn die Grösse des Unternehmens ist nicht entscheidend – sondern das Risiko bei seiner Tätigkeit. Für einen Buchhändler ändert sich kaum etwas. Sobald ein Unternehmen aber im Nahrungsmittelbereich oder in der Maschinenindustrie tätig ist und Rohstoffe bezieht, ist es betroffen.

Die Initianten behaupten etwas anderes – und sie haben gute Argumente. Denn ausnahmsweise wissen wir, wie die Umsetzung aussehen könnte: etwa so, wie der Nationalrat das in seinem eigenen Gegenvorschlag ausgearbeitet hatte, der letztlich knapp abgelehnt wurde. KMU sind dort ausgenommen, und auch die Haftung wird abgeschwächt.
Die Initianten haben diese Umsetzung bereits wieder relativiert. Und die Haftung wäre nach wie vor drin. Diese bringen sie nicht weg. Ausserdem obliegt die Umsetzung dem Parlament.

Nach dem Gegenvorschlag müssen Unternehmen Bericht ablegen über ihre Tätigkeiten im Ausland. Wer da schummelt, soll mit bis zu 100 000 Franken bestraft werden. Für die Verletzung von Menschenrechten soll er hingegen nicht haften. Entschuldigen Sie, aber das versteht niemand!
Unterschätzen Sie die Wirkung von Transparenz nicht. Bussen sind für Unternehmen unattraktiv, denn da geht es um ihren Ruf. Ausserdem sieht der Gegenvorschlag in den Bereichen Konfliktmineralien und Kinderarbeit ebenfalls Sorgfaltspflichten vor.

Sie betonen oft, dass die meisten Schweizer Unternehmen alles richtig machen. Wieso sollten wir bei den wenigen schwarzen Schafen nicht genauer hinschauen?
Gegenfrage: Warum setzt man deswegen alle einem Haftungsund Reputationsrisiko aus? Und wenn wir schon von den Grossen reden: Sie bieten in der Schweiz etwa 1,2 Millionen Arbeitsplätze; rechnet man ihre KMU-Lieferanten hinzu, ist das fast die Hälfte der Jobs in der Schweiz.

Ist es egal, wenn in Südamerika Flüsse verpestet werden – Hauptsache, wir haben einen Job?
Nein, überhaupt nicht. Schweizer Unternehmen sind selbstverständlich angehalten, sich korrekt zu verhalten. Wer einen Schaden verursacht, ist schon heute haftbar – nach dem Recht vor Ort. In einer vernetzten, globalisierten Welt machen Alleingänge auch keinen Sinn.

Auch die EU arbeitet daran, Konzerne mehr in die Pflicht zu nehmen. Das müssten wir in wenigen Jahren also übernehmen. Spielen Sie jetzt einfach auf Zeit?
Es ist gut möglich, dass international tätige Firmen künftig ab einer gewissen Grösse mit Verschärfungen rechnen müssen. Es ist aber heute noch völlig offen, ob und wie die EU dereinst auch eine Haftung vorsehen wird. Wir sollten das abwarten und koordiniert angehen. Die Frage ist doch: Wollen wir den Werkplatz Schweiz mitten in der grössten Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten wirklich benachteiligen, wenn wir mit dem Gegenvorschlag eine Alternative haben? Dieser ist international abgestimmt und sorgt damit für gleich lange Spiesse.

Weitere Infos

Dossier

  • Volksinitiative "Für verantwortungsvolle Unternehmen - zum Schutz von Mensch und Umwelt"

    Bundesrat und Parlament wollen keinen Alleingang der Schweiz. Die sogenannte Konzernverantwortungsinitiative verlangt, dass Schweizer Unternehmen prüfen, ob im Rahmen ihrer Geschäftstätigkeit die international anerkannten Menschenrechte und Umweltstandards eingehalten werden. Dabei müssen sie nicht nur ihre eigene, sondern auch die Tätigkeit ihrer Tochtergesellschaften, Zulieferer und Geschäftspartner überprüfen. Zudem sollen Schweizer Unternehmen neu auch für Schäden haften, die von ihnen kontrollierte Unternehmen verursachen. Aus Sicht von Bundesrat und Parlament gehen insbesondere die Haftungsregeln der Initiative zu weit. Die Initiative führt zu Rechtsunsicherheit und gefährdet Arbeitsplätze im In- und Ausland. Neue Pflichten zur Berichterstattung und Sorgfaltsprüfung müssen international abgestimmt sein. So sieht es der indirekte Gegenvorschlag vor, den das Parlament verabschiedet hat und den auch der Bundesrat unterstützt.

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Letzte Änderung 18.11.2020

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