Wie sich Mikrotubuli an der zellulären Signalverarbeitung beteiligen
Villigen, 09.12.2025 — Mikrotubuli sind an der Kommunikation in der Zelle aktiv beteiligt, indem sie empfangene Signale an die Funktionseinheiten der Zelle weiterleiten. Forschende des Paul Scherrer Instituts PSI und des Departements Biomedizin der Universität Basel haben nun erstmals strukturell aufgeklärt, wie diese Proteinstränge des Zellskeletts dies genau bewerkstelligen. Das könnte helfen, in diese Kommunikation einzugreifen und zum Beispiel Tumorwachstum zu verhindern. Die Studie ist im Wissenschaftsmagazin Cell erschienen.
Ob Zellteilung, -differenzierung, -beweglichkeit oder programmierter Zelltod – verschiedenste Funktionen einer Körperzelle im menschlichen Organismus werden über Signalproteine innerhalb der Zelle gesteuert. Auch die Immunabwehr und das Auslesen von Erbinformationen. Ursprünglich gelangen die Befehle von aussen etwa in Form von Hormonen, Zytokinen oder Wachstumsfaktoren an die Zellmembran, binden dort an entsprechende Rezeptoren und werden dann in Signalproteine übersetzt, die den Befehl ins Zellinnere weitergeben. Über mehrere Stufen gelangt das Signal so auch zu den Mikrotubuli.
Mikrotubuli sind zentrale Proteinstränge des Zellskeletts. Ähnlich wie das Knochenskelett des Menschen den Körper stützt, stützt das Zellskelett die Zelle. Allerdings übernimmt es auch weitere Funktionen. Versteht man die Zelle als eine Stadt, so bilden Mikrotubuli darin sozusagen die Hauptstrassen, die die wichtigen Gebäude (entsprechend den Organellen wie Zellkern, Mitochondrien und Ribosomen) miteinander verbinden und den Transport von Waren (Biomolekülen) zwischen ihnen ermöglichen.
Mit dem Unterschied, dass Mikrotubuli dynamisch sind: Ständig bauen sie neue Verbindungen auf und alte wieder ab, wodurch sie sich neu anordnen. Bisher wurde angenommen, dass Mikrotubuli lediglich Empfänger innerhalb der Zellkommunikation sind, die auf solche Befehle reagieren, indem sie ihre Dynamik und ihre Organisation verändern. Doch tatsächlich erfüllen sie auch die Funktion der Weiterleitung von Signalen an andere Empfänger. So aktivieren sie bei Andocken eines solchen Proteins Signalwege für bestimmte Zellfunktionen wie Immunabwehr und Zellteilung, die von elementarer Bedeutung für den Organismus sind. Täten sie dies nicht, kämen gewisse Befehle nicht an ihrem Ziel an und die Zellen würden nicht funktionieren. Das haben Studien schon vor einigen Jahrzehnten gezeigt.
Bis zuletzt unklar blieb jedoch, wie diese Weiterleitung der Signale durch die Mikrotubuli auf molekularer Ebene abläuft. Und dies konnte ein Team vom Zentrum für Life Sciences des PSI um Erstautor Sung Choi und Projektleiter Michel Steinmetz nun am Beispiel eines Signalproteins namens GEFH1 aufklären – in enger Zusammenarbeit mit der Arbeitsgruppe von Alfred Zippelius vom Departement Biomedizin der Universität Basel.
Wie der Prozess funktioniert
GEFH1 steht für Guanine Nucleotide Exchange Factor H1 und ist ein schon recht gut untersuchtes Signalprotein, das den sogenannten RhoA-Signalweg aktiviert. Allein schon dieser Signalweg – und er ist nur einer von vielen – löst eine ganze Kaskade zellulärer Prozesse aus, die unter anderem die Zellteilung steuern oder die Beweglichkeit der Zelle, sodass sie etwa an der Wundheilung teilnehmen kann.
Sobald GEFH1 an die Mikrotubuli erreicht, dockt es an und wird inaktiviert. Mithilfe von Kryo-Elektronenmikroskopie, biochemischen und zellbiologischen Untersuchungen konnte das PSI-Team nun nachweisen, dass diese Bindung nur durch einen ganz bestimmten molekularen Teil des aus vielen Aminosäuren bestehenden Proteins erfolgt, die sogenannte «C1-Domäne». «Wir haben biotechnologisch Fragmente von GEFH1 hergestellt und getestet, welche in der Lage sind, an Mikrotubuli zu binden», berichtet Sung Choi. «Und wir haben Varianten von GEFH1 mit mutierten Andockstellen gebaut und diese in Zellen eingebracht, um zu sehen, ob sie sich verbinden. So konnten wir eindeutig klären, dass allein die C1-Domäne für die Bindung sorgt.» Und zwar an genau vier Tubulinen – den speziellen Proteinen, aus denen die Stränge des Mikrotubulus bestehen. GEFH1 setzt sich mit der C1-Domäne zwischen diesen in eine Aussparung wie ein Stopfen in ein passendes Loch. Dies offenbarte das Kryo-Elektronenmikroskop.
Freigesetzt wird das Signalprotein, wenn der Mikrotubulus sich im Rahmen der üblichen Dynamik wieder auflöst und der Tubulinstrang an der Stelle, wo es sitzt, auseinanderfällt. Dadurch wird der RhoA-Signalweg aktiviert, um weitere zelluläre Prozesse einzuleiten.
Neues Werkzeug für die Medizin
Die Ergebnisse der Studie dienen vor allem dem grundlegenden Verständnis zellulärer Prozesse. «Sie vervollständigen unser Bild von den Signalkaskaden, die durch Botenstoffe wie Hormone und Zytokine in der Zelle ausgelöst werden», sagt Michel Steinmetz. «Als aktives Element in diesem Mechanismus bekommen Mikrotubuli da nochmal einen höheren Stellenwert.» Darüber hinaus biete uns die genauere Kenntnis der Vorgänge neue Möglichkeiten in der Medizin. Schon heute gibt es Wege, Rezeptoren für gewisse Signalproteine an der Zellmembran zu blockieren, um zum Beispiel das wuchernde Zellwachstum bei Krebs zu verhindern oder in anderen Fällen auch die Bindung zu fördern und so etwa die Immunabwehr zu stärken. Solche Eingriffsmöglichkeiten könnte man nun womöglich auch auf der Ebene der C1-Domäne und der Mikrotubuli entwickeln. «Wir hätten dann ein zusätzliches Werkzeug, um bei Fehlfunktionen einzugreifen», sagt Sung Choi.
Diese Erkenntnis lässt sich wahrscheinlich auf viele andere Signalproteine und -wege übertragen: «Andere Signalproteine, von denen es neben GEFH1 unzählige weitere gibt, sind zwar anders aufgebaut», erklärt Michel Steinmetz. «Aber viele von ihnen verfügen ebenfalls über eine C1-Domäne und binden damit an die Mikrotubuli.» Entsprechend gross wären die medizinischen Eingriffsmöglichkeiten, indem man die C1-Domäne-Bindung blockiert oder fördert. Ein besonders relevantes Beispiel dafür ist das tumorsuppressive Protein RASSF1A, dessen Interaktion mit den Mikrotubuli über die C1-Domäne ebenfalls im Rahmen der Studie nachgewiesen wurde. RASSF1A zählt zu den bekanntesten Tumorsuppressorgenen und ist bei mehr als 40 Krebsarten des Menschen häufig inaktiviert – darunter Lungen-, Brust-, Prostata-, Gliom-, Neuroblastom-, multiples Myelom- sowie Nierenkrebs. Dies verdeutlicht die therapeutische Relevanz des C1-Domänen-Mechanismus.
Allerdings gibt es auch Signalproteine, die an Mikrotubuli binden, ohne dass sie über eine C1-Domäne verfügen. «Wie sie das machen, wollen wir in weiteren Studien herausfinden», sagt Michel Steinmetz. «Dazu haben wir ja jetzt eine Pipeline an Tests und Verfahren entwickelt, die sich übertragen lässt, um weiteren Mechanismen auf die Spur zu kommen.»
Text: Jan Berndorff
Die Fachbegriffe erklärt
- Hormone: Körpereigene Substanzen, die Informationen von einer Zelle zur anderen weitergeben. Sie regeln unter anderem den Energie- und Wasserhaushalt, das Wachstum und die Fortpflanzung.
- Kryo-Elektronenmikroskopie: Ein wichtiges Instrument der biologischen Strukturanalyse, bei dem die Proben schockgefroren und in nahezu atomarer Auflösung untersucht werden können.
- Mitochondrien: Sie gehören zu den Zellorganellen und bilden sozusagen die Kraftwerke der Zellen, die Nährstoffe in Energie umwandeln.
- Organellen: Diese Funktionseinheiten übernehmen in der Zelle gewisse Aufgaben ähnlich wie Organe in unserem Körper Aufgaben erfüllen. Zu den Organellen gehören etwa Zellkern, Mitochondrien und Ribosome.
- Ribosome: Diese Komplexe aus besonders grossen Molekülen sind sozusagen die Proteinfabriken der Zelle: Sie stellen anhand der Erbinformationen, die im Zellkern stecken, verschiedene Proteine her.
- Wachstumsfaktoren: Diese Botenstoffe tragen Informationen von einer Zelle zur anderen und regeln das Zellwachstum und die Differenzierung einer Zelle, also welche Körperfunktion sie später einmal übernimmt.
- Zytokine: Sind ebenfalls Botenstoffe, die von Zelle zu Zelle wandern. Sie regeln vor allem die Immunabwehr und aktivieren die Produktion von Abwehrzellen.
Über das PSI
Das Paul Scherrer Institut PSI entwickelt, baut und betreibt grosse und komplexe Forschungsanlagen und stellt sie der nationalen und internationalen Forschungsgemeinde zur Verfügung. Eigene Forschungsschwerpunkte sind Zukunftstechnologien, Energie und Klima, Health Innovation und Grundlagen der Natur. Die Ausbildung von jungen Menschen ist ein zentrales Anliegen des PSI. Deshalb sind etwa ein Viertel unserer Mitarbeitenden Postdoktorierende, Doktorierende oder Lernende. Insgesamt beschäftigt das PSI 2300 Mitarbeitende und ist damit das grösste Forschungsinstitut der Schweiz. Das Jahresbudget beträgt rund CHF 450 Mio. Das PSI ist Teil des ETH-Bereichs, dem auch die ETH Zürich und die ETH Lausanne angehören sowie die Forschungsinstitute Eawag, Empa und WSL.
Kontakt
Prof. Dr. Michel Steinmetz
Head a.i. Center for Life Sciences
Paul Scherrer Institut PSI
+41 56 310 47 54
michel.steinmetz@psi.ch
Originalveröffentlichung
Structural basis of microtubule-mediated signal transduction
Sung R. Choi et al.
Cell, 8.12.2025
DOI: 10.1016/j.cell.2025.11.011